
Eine Weihnachtsgeschichte, die keine ist
(Zum Vorlesen)
Jedes Jahr zu der Zeit, in der die Kinder anfangen, von Adventskalendern und Nikoläusen zu schwärmen, wird einer nervös in der Familie Peterson. Es ist Paule Peterson, der Vater der großen und kleinen Petersons.
Die Petersons haben 5 Kinder, 2 kleinere, einen mittleren und zwei Teenager. Sie alle finden Weihnachten spitze und freuen sich schon ab den ersten Minusgraden auf Geschenke, Glitzer und Tannenbaum. „Wie schön ist das Leben vor Weihnachten! Alles ist so gemütlich“, schwärmt auch Mama Peterson. Das Gehetze und Gedränge der Menschen in der Stadt, in Einkauszentren und Supermärkten ist ihr schnuppe, sie geht einfach nicht hin. Sie bastelt lieber zuhause mit den Kindern, backt Plätzchen und schmückt die Wohnung mit den selbst gemachten Anhängern, mit Tannenzweigen aus dem Wald und vielen bunten Lichterketten.
Bloß einer ist unglücklich. Mit jedem Tag, der kürzer wird, mit jeder Laterne, die aufgehängt wird und jedem Lichterbaum, den er auf dem Nachhauseweg von der Arbeit erblickt, wirkt Papa Paule angespannter.
Seine Lieben haben sich schon daran gewöhnt, dass ihr Papi jedes Jahr um diese Zeit zum Grummeltier wird. Aber so ganz verstehen sie nicht, warum er all das so schrecklich findet. Wieso genießt er nicht die schöne Stimmung, die festlichen Lichter und die vielen Geschenke?
Der Papa kann es ihnen nicht richtig erklären. Es ist schwierig manchmal, über seine Gefühle zu sprechen. Er fühlt sich unter Druck gesetzt, Geschenke kaufen zu müssen. Er schenkt lieber vor Weihnachten oder danach, oder eigentlich immer, wenn er etwas schönes findet, von dem er meint, dass es der Beschenkte gut gebrauchen könnte. Einfach so, ohne Schleifchen und ohne Drumrum. Der Paketbote klingelt und ein Familienmitglied hat ein Geschenk vom Papa. Ohne Worte.
Eines Tages gehen die beiden Kleinen mit ihrem Papa vom Kindergarten nach Hause. Als sie am Christklindlmarkt vorüberkommen, bleibt der Papa stehen, um ihnen einen Bratapfel zu kaufen. Während sie essen, hören sie Stimmen. Die Stimmen sind laut und zänkisch. Sie passen nicht zu der fröhlichen Wintermusik, die mit viel Klingeling aus den Lautsprechern kommt. Auch nicht zu dem Fichtennadelnduft, der aus den Räuchermännern dampft. Nicht zu den goldenen Karussels und nicht zu den pausbäckigen Engeln am Stand gegenüber.
„Wir nehmen den großen Baum und basta!“, keift die Stimme hinter der Bretterwand. „Aber wo soll der denn hin? Der passt doch nicht mal ins Auto!“, antwortet es zaghaft. „Das ist mir egal, dann trägst Du ihn eben das kurze Stück. Es kommen schließlich Deine Verwandten und ich stehe drei Tage in der Küche, um ein ordentliches Weihnachtsmenü auf die Beine zu stellen“, zetert es. „Meinst Du ich will da so eine mickrige Fichte im Wohnzimmer haben? Gerade Deine Schwester, diese eingebildete….“
Der Papa zieht die Kinder schnell weiter. Kauend schlendern sie nachdenklich an den Buden entlang. „Die streiten über Tannenbäume“, meint der eine Junge schließlich. „Und über Weihnachten“, fügt der andere hinzu. „Ja“, sagt der Vater bloß und sieht plötzlich wieder sehr angespannt aus. „Ist Weihnachten nicht für alle schön, Papi?“, fragen sie.
Der Papa kann plötzlich erzählen: „Wisst ihr, in Afrika und anderswo auf der Welt, da gibt es gar kein Weihnachten. Da feiern die Menschen andere Feste. Hier bei uns ist es eine Tradition. Das ist etwas, das sich die Menschen vor langer Zeit ausgedacht haben. Es hat auch Gründe, die mir gut gefallen. So heißt es in vielen nordischen Ländern, wo es um diese Jahreszeit nur ganz kurz Tag wird, das Fest des Lichts.“
„Bringt das Christkind denn das Licht zurück, am Heiligen Abend?“, fragt der Kleinste. „Ja, so könnt ihr Euch das schon vorstellen. Denn am 21. Dezember, kurz vor Weinachten also, ist der Tag der Wintersonnwende. Ab diesem Tag kommt das Licht zurück und jeder Tag wird ein bisschen länger, bis es wieder Frühling wird und die Sonne ihre Kraft zurück bekommt. Unsere Vorfahren haben diesen Tag als einen Tag der Hoffnung gefeiert und ihren Göttern gehuldigt. Damit das Dunkel auch in diesem Jahr besiegt ist und die Erde sich wieder dem Licht zuwendet.“
„Dann findest Du Weihnachten also doch schön, Papa“, sagt der kleine Junge in die aufkommende Dämmerung hinein. Der Vater nickt lächelnd: „Diesen ursprünglichen Teil der Tradition habe ich gerne. Doch was die Menschen heute daraus gemacht haben, bereitet mir Kummer. Warum streiten sich Menschen, weil sie zu diesem Fest Besuch bekommen von Verwandten, die sie eigentlich das ganze Jahr und jetzt auch nicht sehen wollen? Warum fühlen sie sich verpflichtet, sich gegenseitig teure Dinge zu kaufen, die keiner braucht? Nur weil man sich eben etwas schenken muss. Schenken und Müssen passt schon nicht zusammen.
Warum stellen sich die Menschen Bäume in ihr Haus, die gar nicht hineinpassen, nur um vor dem Besuch damit angeben zu können? Warum blinken mich in jedem Laden und jedem Weihnachtsmarkt nur noch Schilder und Dinge an, die mich auffordern, kauf dies und kauf das, sonst bist du nicht glücklich?“
Der Vater drückt die Hände seiner kleinen Jungs und schnauft ein paar mal ganz tief durch. Die Kleinen gucken hoch. Endlich sieht der Papi wieder aus wie im Sommer, wenn er nicht an Weihnachten denken muss. Endlich hat er einmal gesagt, was er eigentlich denkt, über den Weihnachtsrummel.
Dieses Jahr kauft die Familie Peterson keinen Baum fürs Wohnzimmer. Sie basteln sich Fackeln zum Tag der Wintersonnenwende aus Holzstecken und Zeitungspapier. Das verkleben sie mit Wachs. Mit dem Papa grillen sie Würstl im Garten. Auf dem Schnee macht ein Lagerfeuer keine schwarzen Flecken im Rasen.
Am Heiligen Abend ziehen sie sich ganz warm an. Sie entzünden ihre Fackeln und gehen zusammen in den Wald. Dort schmücken sie einen Baum mit Karotten und Äpfeln, Tannenzapfen und den selbst gebastelten Anhängern von der Mama. Die echten Kerzen mit den silbernen Haltern aus der Kiste von der Oma können sie jetzt auch endlich einmal benützen.
Sie fassen sich alle sechs an den Händen und tanzen um ein freistehendes Bäumlein am Waldrand. Das haben die Kinder schon gekannt, denn im Kindergarten haben sie hier eine Waldweihnacht für die Tiere gefeiert. Mama Peterson hat Glühwein und Punsch in Kannen mitgebracht und viele Kekse. Alle gucken sich die Sterne an und singen fröhliche Lieder. Was sie zu hause irgendwie nie konnten, denn obwohl der Papa sich immer sehr bemühte, seine schlechte Laune zu verbergen, war sie doch da. Jetzt spürten alle plötzlich wie anders es doch war, wenn sich wirklich alle in der Familie wohlfühlen.
Und wo sind die Geschenke, fragt ihr bestimmt. Denn ein Weihnachten ganz ohne Geschenke, ist das denn möglich? Tja, bei der Familie Peterson, war das jetzt nicht mehr so wichtig. Denn Weihnachten war wieder das Fest des Lichts und ein riesiges Abenteuer. Die Kinder bekommen von Papa Paule ja ohnehin jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Und die Geschenke die schon in den Wochen vor dem Heiligen Abend angekommen sind, hat die Mama abgefangen und schnell eingepackt.
Denn so wie der Papa sich jetzt gut fühlt, weil ihm der Zwang zum Weihnachtswahn genommen wurde, freut sich die Mama eben über die schönen Packerl und die leuchtenden Augen der Kinder beim Aufreißen. Was ein Glück auch, dass jeder etwas anderes an Weihnachten mag. Nur gut, wenn eine Familie miteinander redet. Das ist ein großes Geschenk. Verena Wagner
(Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind beabsichtigte Zufälle.)
Eine wunderschöne Geschichte, die ich auf jeden Fall teilen werde.
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Mir gefällt sie auch sehr. Vielen Dank an Mamirocks ❤
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Leider ist die Blogvorstellung im Beitrag verschwunden. Da ich alles mobil blogge brauche wieder eine Weile um das zu korrigieren.
Große Entschuldigung an meinen Adventsgast.
Bitte kommentiere hier gern deine Links zu FB und Co.
Lg
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[…] Wenn Euch das Vorlesen mit Euren Kindern auch soviel Spaß macht, wie uns, habe ich hier eine nachdenkliche Weihnachtsgeschichte für Euch. Die habe ich so geschrieben, dass sie sich gut zum Vorlesen eignet. Am liebsten würde […]
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[…] ich noch eine Kurzgeschichte zu Weihnachten: Eine Weihnachtsgeschichte, die keine ist, 2016 bei Kellerbande […]
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