#MeinBriefanmich oder richtige Entscheidung zur Klinikgeburt?

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Eh‘ man auf diese Welt gekommen
Und noch so still vorlieb genommen,
Da hat man noch bei nichts was bei;
Man schwebt herum, ist schuldenfrei,
Hat keine Uhr und keine Eile
Und äußerst selten Langeweile.

Wilhelm Busch (1832 – 1908)

Hallo, liebe Anja aus dem Juli im Jahr 2012,

herzlichsten Glückwunsch zur gestrigen Geburt des Räubers.

Das hast du alles ganz wunderbar gemeistert.

Niemand hätte ahnen können, welche Komplikationen bei der Geburt auftreten würden.

Obwohl….nach der sinnfreien Vorbereitung durch die Hebamme…

Aber das ist eine andere Geschichte und kann gern hier nachgelesen werden.

Die Herztöne deines Sohnes im Bauch spielten verrückt – aber du hast dich nicht verrückt machen lassen und hast gekämpft. Dein Mann an deiner Seite.

Auch als es turbulent wurde und plötzlich 5 oder 6 Leute um dich rum hetzten hast du nur an den Räuber gedacht.

Es kam zu einem Notkaiserschnitt.

Du wußtest nur das dein Kind in Gefahr war und du allein es nicht schaffen würdest ihn zu gebähren. Zum Glück hattest du dich für die Klinik mit benachbarter Kinderklinik entschieden.

Du mußtest die Presswehen „wegatmen“. Die Wehenhemmer brachten dir gefühlt keine Erleichterung.

Nicht einmal – nicht zweimal…

Das hast du super gemacht.

Nur so konnte die PDA gesetzt werden.

Im OP war dein Mann endlich wieder bei dir.

Gespannt habt ihr auf ein Lebenszeichen eures Sohnes gewartet.

Endlich war er da. Der Räuber war da.

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Bildrechte: Pixabay.com

Es ist ein Wunder, sagt das Herz,
es ist eine große Verantwortung, sagt der Verstand,
es ist viel Sorge, sagt die Angst,
es ist das größte Glück, sagt die Liebe,
es ist ein Kind, sagen wir.
Unbekannt

Wenn ich jetzt nach 3 Jahren, als Anja aus dem Jahr 2015, daran zurückdenke, bin ich sehr gerührt und mächtig stolz auf dich.

Also, entspanne dich heute noch ein bißchen. Erhole dich von den Strapazen und genieße die Schonkost (haha).

Denn wer weiß was noch kommen mag…

Ich weiß es.

Deshalb möchte ich dich schonend darauf vorbereiten, denn was morgen passiert, das kann dir keiner abnehmen. Da mußt du durch – auch wenn dein Herz schmerzt als sei es kurz vorm zerreisen.

Du wirst heute Abend den Räuber zusammen mit dem Baby der Bettnachbarin den Schwestern abgeben um ein bißchen ausruhen zu können. Ihr würdet euer Neugeborenes zum Stillen ans Bett gebracht bekommen.

Dein Mann wird währenddessen zu Hause eine riesen Party schmeissen und sich feiern lassen. Er wird dich morgen Nachmittag besuchen kommen.

Du wirst dich wundern, warum dich erst um 4 Uhr morgens 2 weiße Kittel wecken – ohne Räuber dabei zu haben.

Du wirst nur “ …blau angelaufen….Wasser in der Lunge…Notfall…schnell handeln…jetzt in der Kinderklinik…Intensivstation…“ verstehen, bevor die beiden wieder verschwinden.

Du wirst Heulkrämpfe und Angst um dein Baby haben, die Machtlosigkeit wird dich fertig machen.

Im Bett nebenan wird gestillt und geschmust werden. Das wirst du mit ansehen müssen.

Aber bald bist du kaum noch in deinem Zimmer.

Du wirst stattdessen ins Abpumpzimmer gehen und dir das Prozedere unter Tränen erklären lassen, dann das Döschen für die Kinderklinik bereit stellen.

Du wirst vor Ungewissheit und Angst um dein Baby weinen, wie du noch nie zuvor weinen mußtest.

Am frühen Morgen wirst du erfahren, daß dein Sohn eine Neugeboreneninfektion hat und weiterhin intensiv beobachtet werden muß – keine akute Lebensgefahr mehr.

Du wirst ihn besuchen dürfen und wirst aufgrund der Kaiserschnittwunde mit dem Rollstuhl durch zig Türen und Gänge und Fahrstühle geschoben um innerhalb der Klinik zur Kinderklinik zu gelangen.

Du wirst erst mal schlucken, wenn du deinen Knirps mit vielen Schläuchen und Kabeln in dem Glaskasten liegen siehst.

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Bildrechte: Pixabay

Aber schon abends und nachts gehst du allein zu deinem Baby, langsam, ganz langsam und an einem Rollator – mit Muttermilch im „Gepäck“.

Schon bald bist du Profi im „um die Kabel rum“wickeln.

Du wirst ihn ganz lang im Arm halten und ihn stillen, an ihm riechen, ihn anstarren und am liebsten nie mehr hergeben wollen.

Du wirst vom Klinikpersonal ein Piepser kriegen und zum Stillen „gerufen“ werden.

Aber es ist alle Mühe wert. Lass ich darauf ein. Sei deinem Räuber so oft so nah wie möglich.

Du schaffst das. Du bist schließlich ICH.

Schon Manchen hat des Schicksals Zorn
Ganz jäh gefaßt beim Schopfe vorn‘;
Doch weil er ohne Angst und Scheu
Sofort schlug tüchtig aus dabei,
Hat sich das Schicksal dran ergötzt,
Daß muthig er sich widersetzt,
Und warf ihn, statt ihn durchzubläu’n,
Mit einem Schups in’s Glück hinein!
-Unbekannt-

In Liebe deine Anja von 2015

P.S. Dieser Brief ist eine Inspiration zur Sommerblogparade vom Hebammenblog.

8 Kommentare

  1. Puh! Das ist ganz, ganz hart und ich musste tatsächlich Tränen verdrücken bei diesem Beitrag. Ich kann nicht erahnen wie furchtbar diese Zeit gewesen sein muss. Umso mehr freut es mich, dass es offenbar ein gutes Ende genommen hat.

    Tapfer sein, für Sein Kind da sein und durchhalten. Mehr kann man in solchen Situationen wohl nicht machen.

    Ich wünsche euch weiterhin alles Gute.

    Sonnige Grüße,
    Shy

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    • Hallo shy,

      lieben Dank für deinen Kommentar und deinen netten Besuch im Blog.

      Ich denke, jede Geburt ist in gewisserweise hart.

      Meine erste hatte eben diese Überraschungen für mich parat.

      Aber wie du schon schreibst, es gab ein gute Ende und der Räuber war und ist ein tapferes Kerlchen.

      Seine Schwester bekam ich durch eine natürliche Geburt.

      Lg

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      • Sicher ist jede Geburt hart, allerdings war es bei dir besonders schwer. Vor allem die Zeit danach, stelle ich mir sehr sehr schwierig vor. Allerdings wächst man an solchen Dingen, denke ich.

        Schön zu lesen, dass du bei der zweiten Geburt eine andere Erfahrungen sammeln konntest.

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